«Rein geologisch» betrachtet findet Matthias Braun, CEO der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, den heute publizierten Standort zur Lagerung des Atommülls in der Schweiz «total langweilig». Über Mio. Jahre soll sich hier – zumindest in der Tiefe – nichts mehr bewegen. Aus gutem Grund.
Anlässlich der in Bern anberaumten Pressekonferenz zur Standortwahl beantwortet Nagra-Chef Braun auch die Frage, ob etwaige Erdbeben irgendwann Schäden im geplanten Tiefenlager anrichten könnten, mit einer Relativierung. Erdstösse, meint er, richten vor allem an der Oberfläche aufgrund seismischer Wellen Zerstörungen an – weniger jedoch in der Tiefe. Die potenzielle «Bedrohungslage» sei am nun bevorzugten Standort bei «Nördlich Lägern» zwischen Waldshut-Tiengen und Zürich in einer rund 100 m dicken und 900 m tief gelegenen Schicht von Opalinuston am Geringsten.
Strahlungssicheres Handling. Fotos: Nagra
In vorangegangenen Auswahlverfahren war dieser Standort unweit der Mündung der Aare in den Hochrhein schon einmal ausgeschlossen worden. Das hingegen sei ein wenig voreilig geschehen, sagen die Experten. Die Beurteilung habe nach gründlicher Nachschau noch einmal geändert.
Die Nagra sah sich jetzt am Ende eines in dieser Dimension ausserordentlich und «einzigartig» umfangreichen raumplanerischen Verfahrens, in das zahlreiche Gebietskörperschaften, Gremien und Expertenrunden über bald 20 Jahre hinweg einbezogen waren. Die Nagra gebe an diesem Tag allerdings auch nur bekannt, für welchen Standort sie «als Nagra» ein Bewilligungsverfahren anstrengen wolle. Das könne nur öffentlich geschehen. Vor 2029 werde es nicht soweit sein, dass tatsächlich grünes Licht seitens Bundesrat und weiterer Gremien erteilt werden könne.
M.Braun
Nagra-Chef Braun findet es «erfreulich, dass es ein eindeutiger Entscheid ist». In Nördlich Lägern sei das graue Gestein 175 Mio. Jahre alt, was auch sicherheitstechnisch von Bedeutung sei. Braun: «Da tut sich in der Tiefe nichts mehr (…) Das gibt uns das Vertrauen, dass wir auch für weit in die Zukunft sicher sein können».
Der Opalinuston sei extrem dicht, und binde die Strahlung radioaktiven Materials «praktisch wie ein Magnet». Sollte überhaupt einmal irgendwo ein Riss auftreten, dichte die Beschaffenheit des Tons die Bruchstelle «nach», und «heile» sozusagen den kritischen Bereich selbsttätig. Diese Tonschicht habe man auch an den anderen, untersuchten Standorten gefunden. Bei Nördlich Lägern sei sie jedoch am ältesten. Beweis für die Dichtigkeit seien auch wasserführende geologische Schichten über dem Opalinuston-Horizont. Das Wasser, das dort untersucht wurde, sei so alt, dass Brüche in zurückliegenden Jahrtausenden praktisch auszuschliessen seien.
Abb.: Nagra
Rein logistisch interessant ist, dass die Verpackung des radioaktiven Materials für die Endlagerung im Tiefenlager nicht am selben Ort, sondern am bereits vorhandenen, industriell genutzten Gelände bei Würenlingen erfolgen soll. Braun: «Dort sind bereits entsprechende Kapazitäten, Gebäude und Anlagen vorhanden, die wir dann weiternutzen können». Im Übrigen, setzt er hinzu, würde seiner Auffassung nach das Entsorgungskonzept «an allen drei Standorten funktionieren». Die Idee einer externen Verpackungsanlage sei aus der Region selbst gekommen.
Felix Altorfer, Leiter des Eidgenössischen Nuklearsicherheits-Inspektorats ENSI, spricht von einer minimalen Strahlenbelastung von effektiv nur noch wenigen Mikrosievert, die von dem in der Tiefe ruhenden Atommüll ausgehen könnten.
Zahllose Sitzungen, Informations-Veranstaltungen und Tagungen seien der nun getroffenen Auswahl vorausgegangen. Gemeinden, Organisationen und Abordnungen internationaler Besucher hätten sich vor Ort beispielhaft über die Vorgehensweise informiert.
M.Neukom
Auch die Positionen von Grünen-Politikern haben sich geändert. Martin Neukom, Zürcher Regierungsrat und Atomkritiker, Präsident eines in die Beratungen einbezogenen Auschusses der Kantone Schaffhausen, Aargau und Zürich, räumt ein: «Es ist viel geschehen in den vergangenen Jahren». Ob nun so, oder so, meint der Grünen-Protagonist, auch langjähriges Mitglied einer 1500 Teilnehmer zählenden Initiative «Fussverkehr Schweiz»: Unterbringen und lagern müsse die Schweiz ihren radioaktiven Müll «auf jeden Fall irgendwo». Da dies zwingend sei, sei wissenschaftliches Arbeiten nötig gewesen, um die beste Lösung zu finden. Die Nagra, oft kritisiert, sei «heute auch viel offener mit Streitfragen umgegangen», als zu früheren Zeiten. «Man hat uns zugehört».
Alles in allem dürfte das Tiefenlager rund 20 Mrd. Franken kosten. Entschädigungs-Zahlungen an etwaige Betroffene werden ausdrücklich nicht als «Schadensersatz» für Gemeinden oder Grundbesitzer bezeichnet, sondern als «Nutzungs-Entgelte». Auch Gemeinden auf deutscher Seite sollen in etwaige an möglichen Wertminderungen orientierte Zahlungen einbezogen werden.
Autor: K.Koch
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- Geschrieben von: Klaus Koch