Wer einen Marktvorteil verbuchen kann, behält den Mehrwert oft gern für sich. In einem Projekt namens «Flow-Pro» hat Siemens jetzt eine frei zugängliche Bibliothek zur VDA 5050-Implementierung online gestellt. Die boden- und luftgebundenen Transporteinheiten sollen sich selbst organisieren.

Die VDA 5050 ist die kürzliche vorgestellte Schnittstelle zur Kommunikation zwischen Fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF) und einer Leitsteuerung, die es erlaubt, unterschiedliche Fahrzeuge verschiedener Hersteller in einem gemeinsamen System zu betreiben. Die Kommunikationsschnittstelle VDA 5050 soll als Teil einer Transaktions-Plattform dafür sorgen, dass sich die verschiedenen Transportkomponenten selbst koordinieren.

In einer Gesprächsrunde mit dem VDMA stellten sich Jochen Nickles, Principal Key Expert, und Markus Sauer, Senior Key Expert bei Siemens Fragen zu einer sich selbst organisierenden Mikrologistik der Zukunft.

Herr Nickles, welchen Part hat Siemens in dem Forschungsprojekt?
Jochen Nickles: Der Part von Siemens bei «Flow-Pro» betrifft Algorithmen, Architekturen und Technologien für ein dezentrales selbstorganisierendes, industrielles IoT-Ökosystem. Die Betonung liegt auf Selbstorganisation. In «Flow-Pro» liegt der Schwerpunkt dieser autonomen Funktionalitäten und Services auf Logistik und hier fokussieren wir uns speziell auf das Design und die Entwicklung einer Transaktions-Plattform, also von einer Transaktions-Middleware, für Mikro-Logistiksysteme. Wir haben einerseits den Bedarf, dass Ware transportiert werden soll und andererseits ein Fahrzeugangebot mit bestimmten Spezifikationen. Und die Frage ist, wie finden beide Seiten zusammen? Wie gelingt die Selbstorganisation von Aufgabenzuweisung und Aufgabenübernahme. Hinzu kommt die Heterogenität der Systeme. Wir haben nicht nur unterschiedliche Hersteller von fahrerlosen Transportfahrzeugen (AGV), sondern auch ganz unterschiedliche Typen, zum Beispiel auch Drohnen, die solche Mikro-Logistikaufgaben erledigen können. Zusätzlich haben wir unterschiedliche Stakeholder: Betreiber und OEMs, die diese Systeme oder auch Lagerverwaltungs- und Produktionsverwaltungssysteme anbieten. Wir erforschen, wie sich die Autonomie steigern lässt und wie KI-Methoden, aber auch Sicherheits-Methoden in einem losen Multi-Agenten-System integriert werden können.

Markus Sauer: Die Grundmotivation ist für uns ein industrielles IoT. Wenn alles intelligenter wird und kommunizieren kann, können sich diese autonomen Systeme dann nicht untereinander selbst arrangieren, Aufgaben gemeinsam übernehmen oder zuweisen? Dazu braucht man in irgendeiner Form diese Art von Transaktions-Middleware, damit sich diese autonomen Instanzen finden, um Dinge in Kollaboration zu erledigen. Und Logistiksysteme, speziell AGV, sind dafür schöne Repräsentanten, weil es mobile Geräte sind, die sich weitgehend selbst orientieren können, die aber auch genügend Sicherheitsmechanismen, wie Kollisionsvermeidung mitbringen und eben damit bereits über eine gewisse Autonomie verfügen.

Wie soll die VDA 5050 im Projekt genutzt werden? Welche Möglichkeiten und Grenzen hat die VDA 5050 in diesem Zusammenhang?

Markus Sauer: Die Transportsysteme – von AGV bis Drohne und vielleicht noch andere Systeme – können unterschiedlich angesteuert werden. Dabei spielt beim Auftrag nicht nur das Fahrtziel eine Rolle, sondern auch Details wie das Aufnehmen des Transportguts oder Kriterien beim Abliefern. Diese Schnittstellen müssen für «Flow-Pro» gelöst werden. Es gibt kaum Standards in diesem Bereich – bis auf die VDA 5050. Dabei ist es der einzige Weg, auf Standards zu setzen, insbesondere wenn man heterogene Partner, Stakeholder, Gerätschaften und Technologien zusammenbringen will. Für uns hat es sich im Projekt auch deshalb angeboten, weil wir Ergebnisse aus dem Projekt, direkt mit existierenden AGVs die vielleicht gar nicht im Fokus des eigentlichen Projektes sind, testen können. Wir können dann relativ einfach zwischen den neuen entwickelten Ansätzen zur Koordination der AGV und den etablierten Systemen hin- und herschalten, was extrem vorteilhaft ist, um neue Technologien schneller zeigen zu können und ggf. zu etablieren.

Und wo sehen Sie die Grenzen der VDA 5050 für «Flow-Pro»?

Jochen Nickles: Ein offener Punkt ist, dass der Schnittstelle für Drohnen neben der X- und Y-Koordinate natürlich noch die Z-Koordinate fehlt. Das ist aber lösbar, in einer erweiterten Version, bzw. über die optionalen Features, die im Protokoll vorgesehen sind.

Bild: ASTI InSystems

Markus Sauer: Das ist im Übrigen auch ein Aspekt, der die VDA 5050 für uns so interessant macht – dass diese Protokoll-Welt erweiterbar ist und dass man Feedback in das Standardisierungs-Gremium einbringen kann, was möglicherweise in der VDA 5050 in Zukunft noch ergänzt werden könnte. (…)

Sie haben eine vollständige VDA 5050-Implementierung entwickelt. Was genau umfasst das?

Markus Sauer: Wir haben eine komplette VDA 5050 Implementierung nach der Spezifikation 1.1 entwickelt. Diese haben wir als Open Source Software unter MIT Lizenz auf GitHub veröffentlicht. Das Paket beinhaltet sowohl die Implementierung selbst (https://github.com/coatyio/vda-5050-lib.js), die Dokumentation, entsprechendes Tooling und die JSON Schemas für das Protokoll (https://github.com/coatyio/vda-5050-cli.js).Die Software ist in TypeScript/JavaScript implementiert und kann plattformübergreifend (z.B. Linux, Win, macOS, Browser) in unterschiedlichen Laufzeitumgebungen (IPC, Edge, Cloud, Smartphones, Tablets) eingesetzt werden. Die Software ermöglicht, die komplexe Logik und Abläufe der Auftrags-, Aktions- und Zustandsverwaltung/Handhabung von VDA 5050 sofort in eigenen Komponenten gekapselt einzusetzen. Das Paket wird mit einer vollständigen API-Dokumentation inklusive einer Übersicht der Bibliothek im Kontext der VDA 5050-Spezifikation geliefert.

Jochen Nickles: Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass mit der Bibliothek auch eine ganze Testumgebung mit bereitgestellt wird. Neben der Dokumentation ist noch ein Instrumentarium dabei, das (…) die Integration dieser Bibliothek in spezielle Anwendungen unterstützt. Darunter ein MQTT-Broker, der für Entwicklungstests genutzt werden kann. Es sind auch entsprechende JSON Schemas da, konform zu VDA 5050, ein Code-Generator für die verschiedenen Programmiersprachen, so dass man ein Test-Gegenstück hat. So lässt sich die Funktionalität sicherstellen, wenn man es implementiert und integriert hat. Ein schönes Einstiegspaket: Wie man am besten vorgeht, wenn man bisher noch keine VDA 5050 unterstützt hat.

Welche Möglichkeiten bietet die Veröffentlichung als Open Source Software aus Ihrer Sicht? Was war Ihre Intention dabei?

Markus Sauer: Für das Projekt selbst gab es von Anfang an die Überlegung, weil es natürlich die Handhabung mit den Projektpartnern vereinfacht und man keine Geheimhaltung oder sonstige Bedingungen vereinbaren muss. Open Source bietet den Vorteil, dass jeder Interessierte nun darauf Zugriff hat. Wir hoffen, damit den Einstieg in die VDA 5050 zu erleichtern und damit einen Beitrag zur Akzeptanz und Etablierung beizutragen. Natürlich freuen wir uns auch, wenn wir Feedback dazu bekommen.

Juliane Friedrich / VDMA

www.vdma.org / www.adlershof.de