Ein paar Bretter, Holzklötze und 78 Nägel – fertig ist das gute Stück. Die Europalette hat einst die Ladezeit von Güterwagons und Lkw um bis zu 90 Prozent verkürzt. Sie hat das Mass für Logistikzentren vorgegeben. Grund genug, ihre Erschaffer in die internationale Logistics Hall of Fame aufzunehmen.

Ein weiteres Plus, da sie aus heutiger Sicht auch eine Verbeugung nach modernen Prizipien der Nachhaltigkeit verkörpert: Die Palette ist mit geringen Material- und Energiekosten reparierbar und am Ende ihres Lebenszyklus vollständig recyclingfähig.

Wer sie erfunden hat, ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn die Entstehungsgeschichte der Palette ist lang. Bereits im Alten Ägypten haben Menschen Gleitkufen zum Transport schwerer Güter verwendet – ohne die schlittenartigen Auflage-Geräte wäre wohl der Transport tonnenschwerer Steinblöcke für die Pyramiden nicht gelungen.

Auch die Vorläufer der heutigen Transportpalette haben sich an diesem Vorbild orientiert. So, wie auch Clark, als er 1917 in den USA den ersten Gabelstapler baute, einfache Gleitkufen als Ladungsträger einsetzte. Diese frühe Palette meldete Carl Clark jedoch erst 1939 zum Patent an. Bereits 1924 wurde die «Hubwagen-Plattform» von Howard T. Hallowell zum Patent angemeldet. Während der 30er Jahre erschienen immer wieder neue Varianten der Palette auf dem amerikanischen Markt – alle dürfen als Vorläufer des heutigen Ladungsträgers gelten.

George Raymond Senior und die Transportpalette

Im Jahr 1922 kaufte George Raymond Sr eine Giesserei namens Lyon Iron Works im US-Bundesstaat New York und formte diese zur Raymond Corporation, heute ein Tochterunternehmen von Toyota Industries. Zusammen mit seinem Mitarbeiter William House entwickelte er einen hydraulischen Hubwagen und die dazugehörige Transportpalette aus Holz. Sie war so gestaltet, dass die Gabeln des Hubwagens von zwei Seiten unter die Palette fahren konnten. Am 7. November 1939 erhielten Raymond und House die Patente für den Hubwagen und die dazugehörige Palette.

Raymond sr.

 

Bevor Steve Raymond, Enkel des Firmengründers, in den Ruhestand ging, war er in verschiedenen Funktionen aktiv in das Unternehmen eingebunden, unter anderem als ehemaliger Präsident des Raymond Solutions and Support Center. Er ist stolz auf die Erfindung seines Grossvaters: «Alles in der Logistik beginnt mit der Palette», sagt er.

Zahlreiche Erfindungen wurden erst in den späten 40er Jahren zum Patent angemeldet, etwa die Vierwegepalette von Robert Braun, die im Jahr 1945 patentiert wurde oder eine Einwegpalette des US-Versorgungsoffiziers Norman Cahners, der 1949 das Patent erhielt. In den 50er Jahren begannen die Eisenbahngesellschaften immer mehr Güter auf Paletten zu transportierten und die Palette verbreitete sich rasant. Durch fehlende Standards kam es beim grenzüberschreitenden Transport jedoch mitunter zum völligen Chaos.

UIC – die Mutter der Europalette

Die Geburtsstunde der Europalette hing wesentlich mit dem Standardisierungsgedanken zusammen. 1961 arbeitete die «Union Internationale des Chemins de fer (UIC)» im Rahmen eines Arbeitskreises mit wechselnden Akteuren den Vertrag über eine normierte, tauschbare Palette aus, der in der Folge von den europäischen Eisenbahngesellschaften unterzeichnet wurde. Sie verpflichteten sich fortan zur Einhaltung der Normen (UIC - Norm 435-2 ff.), der Herstellung und zur Reparatur der Europaletten. Zudem wurden die Überwachung und die Gewährleistung eines störungsfreien Tauschs in einem EPP (Europäischer Palettenpool) vereinbart. Der Erfolg der Europalette mit den Massen 800mm x 1200mm x 144mm war durchschlagend: Es gibt heute kaum ein Lager- oder Transportsystem, das nicht an die Masse der Europalette angepasst wäre.

 

Im offenen Tauschpool für Europaletten wird eine beladene Palette am Zielort gegen ein baugleiches Exemplar getauscht. Die Bestimmungen zur Herstellung und Reparatur von Europaletten sind bis hin zur Position der einzelnen Nägel umfangreich. Aber der Tausch von Europaletten erfolgt nicht automatisch und ist auch nicht in allen Staaten üblich.

EPAL – die Weiterentwicklung des Pools

Mitte der 1970er Jahre hat die Gütegemeinschaft Paletten, das heutige Nationalkomitee der EPAL, die Verbreitung und Qualitätssicherung der Europalette teilweise übernommen. Die gegründete European Pallet Association e.V. (EPAL) hat die Verbreitung und Qualitätssicherung der Europalette zusammen mit der UIC vorangetrieben.

2013 trennten sich UIC und EPAL. Seitdem sind beide Organisationen Wettbewerber im offenen Europaletten-Tauschpool mit unterschiedlichen Markenzeichen: UIC/EUR auf den Eckklötzen der UIC Europaletten und EPAL/EPAL auf den Klötzen der EPAL Paletten. Der Bestand an EPAL-Europaletten beträgt heute rund 625 Mio. Stück weltweit. Die EPAL ist mit ihren 14 Nationalkomitees (Mitglieder des Dachverbandes) und drei Repräsentanten in mehr als 30 Ländern weltweit aktiv.

Oliver Richter – Vater des CHEP-Systems

Bereits wenige Jahre nach der Erfindung der Europalette erschien in Australien ein weiterer Player im Palettengeschäft. Oliver Richter (1920- 2014) war Handelsmanager für den Bereich Manufacturing und Materials Handling im Logistikunternehmen Brambles. Zu der Zeit war das Unternehmen mit der Marke CHEP (Commonwealth Handling Equipment Pool) immer noch überwiegend im Bereich Material Handling in Sydney aktiv. Richter erkannte das Potenzial eines Paletten-Poolingsystems und baute den geschlossenen CHEP-Mietpool international erfolgreich aus.

O.Richter

 

Im Rahmen des «Sharing and Reusing»-Modells wurden wiederverwendbare Paletten, Kisten und Container für die gemeinsame Nutzung durch mehrere Teilnehmer in der gesamten Lieferkette zur Verfügung gestellt. Dadurch entfiel für die Kunden die Notwendigkeit, ihre eigenen Paletten zu kaufen und zu verwalten, was den Kapitalbedarf und die Komplexität ihrer Abläufe und gleichzeitig den Abfall aus ihren Lieferketten reduzierte. Vor dem Pooling- und Wiederverwendungssystem von CHEP gaben die Unternehmen beträchtliche Summen für den Ersatz von Paletten aus, die nicht zurückgegeben wurden oder von minderer Qualität waren. CHEP wurde zum Vorbild für zahlreiche Poollösungen.

Durch Richters Tatkraft und Vision trieb CHEP ausserdem die Standardisierung der Palettengrösse und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Verpackungsstandardisierung voran. Er liess ein System zur Palettenkontrolle entwickeln, das den effizienten Warenverkehr verbessert und eine effektivere Wiederverwendung von Paletten sowie eine Reduzierung von Palettenverlusten garantierte. Insgesamt führten diese Initiativen zu spürbaren Produktivitätssteigerungen in der gesamten Lieferkette, da die Waren direkt vom Hersteller oder Erzeuger zum Einzelhändler transportiert wurden. Der Bestand an CHEP-Ladungsträgen beträgt heute rund 575 Mio. an Paletten, Behältern und Spezialcontainern.

Die Innovation geht weiter

2004 erhielt die Europalette die DIN EN 13698-1. Die besagt, dass sie eine steife horizontale Plattform von geringer Höhe ist, «die mit Gabelstaplern, Gabelhubwagen oder anderem geeigneten Gerät gehandhabt werden kann und die als Grundlage für die Zusammenfassung von Gütern und Ladungen zum Stapeln, Lagern und Handhaben oder Transportieren dient.»

Das Ende der Geschichte ist noch längst nicht geschrieben. Die Palette hat einen Standard für die Logistik geschaffen. Sie gab den Anstoss zu Standardverpackungen, Kistengrössen und lichten Höhen in Lagergebäuden, Lkw-Anhängergrössen oder Gabelstaplerabmessungen. Dass die Palette auch in Zukunft eine treibende Kraft sein wird, steht ausser Frage, aber wie jeder andere Ladungsträger muss sie sich den Herausforderungen der Zeit stellen. Heute ist die Palette allen voran Teil der digitalen Evolution. Forschung und Wissenschaft, Palettenhersteller und -kunden arbeiten an innovativen Wege, um Paletten zu einem noch zuverlässigeren und intelligenteren Mittel für den Transport und die Präsentation von Waren zu machen.

«Die Logistik steht auf Paletten. Sie intelligent zu machen, heisst die Logistik intelligent zu machen», sagt Professor Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML und ebenfalls Mitglied der Logistics Hall of Fame. Intelligente Palettennetzwerke sind ein Meilenstein auf dem Weg zum Internet der Dinge, mit dem sich der wahre Datenschatz in der Logistik heben lässt, ist der Forscher überzeugt.

Die Palette der Zukunft wird nicht mehr nur Waren transportieren, sondern Informationen bereitstellen. Sie wird Umgebungsparameter aufnehmen und mit modernen Medien kommunizieren. Die Palette bleibt ein zentraler Baustein in einem digitalen Logistikuniversum mit weltweit vernetzten Supply Chains.

Anita Würmser / impact media

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