Wenn das neue Verteilzentrum steht, der Hochlauf erfolgreich war und die ersten Artikel mit Hilfe hochdynamischer Maschinen kommissioniert werden, herrscht Feierstimmung. Die Zeiten der manuellen Lagerlogistik sind vorbei. Aber es braucht auch ein entsprechendes Change Management.
«Wir bauen für und mit unseren Kunden eine hochautomatisierte Produktion auf,» erklärt Johannes Meißner, Technischer Geschäftsführer bei Witron und seit mehr als drei Jahrzehnten in unterschiedlichsten Positionen im Unternehmen beschäftigt. Vor allem Kunden, die aus stark manuell geprägten Logistikprozessen kämen, seien zunächst beeindruckt, wenn sie die ersten Referenzkunden besuchen. «Wir transformieren ganze Arbeitsprozesse, deshalb brauchen wir in jeder Phase auch ein funktionierendes Change-Management vor Ort, das wir von Beginn an mitentwickeln».
J.Meissner
Die Arbeit mit den Lieferanten verändert sich, Transportvolumen müssen angepasst werden, Stammdaten gewinnen an Bedeutung, die Verpackungsdesigns werden wichtiger, Mitarbeitende bekommen neue Aufgabengebiete, Filialen müssen eingebunden werden, vielleicht auch der Endkunde als E-Commerce-Besteller. «Wir liefern nicht nur Software, Fördertechnik und Maschinen, wir begleiten den Kunden im Rahmen des Change-Managements im Detail und übernehmen bei Bedarf auch den Service bis hin zum kompletten Anlagen-Betrieb».
Die Witron-Experten analysieren zu Beginn die Produkte, den internen und externen Materialfluss, die vertikale und horizontale Supply Chain. «Wir definieren gemeinsam neue Verpackungs-Standards, gehen an die Stammdaten-Erfassung und unterstützen bei der Kommunikation zum Lieferanten, denn auch der muss für sich Vorteile entdecken. Wir helfen beim Training der Logistik-Mitarbeiter, wir erklären Prozesse und unterstützen in der Kommunikation.»
Verteilzentrum in Suhr
Ein Beispiel für einen gelungene Transformation bei einem Zulieferer ist das Projekt bei einem französischen Kunden aus dem Lebensmitteleinzelhandel. Dort wurde im Frische-Bereich erstmals die Flow Picking Machinery (FPM) implementiert. Sie nutzt OPM-Technologie, arbeitet aber ohne Bestand und baut filialgerechte Paletten «just-in-time» für die Kunden. Ein entscheidender Faktor für die Effizienz des Systems sind die Strukturen der Wareneingangspaletten. «In unserem Fall waren es 45 Prozent Vollpaletten oder reine Lagenpaletten, die wir sehr gut automatisch depalettieren können. Dazu kommen Uniform-Case-Paletten. Das sind Paletten mit jeweils einem Typ Standardkartonagen oder Behälter, welche unterschiedliche Artikel beinhalten. Auch die können wir automatisch depalettieren. Damit kommen wir ohne große Anpassungen bereits auf eine automatische Depalettierquote von rund 65 Prozent».
K.Högen
Doch das Ziel waren mehr als 80 Prozent, erinnert sich Meißner. Die Witron-Logistiker definierten mit dem Kunden eine Strategie, um in Zusammenarbeit mit den Lieferanten den Anteil der Uniform-Case-Paletten zu erhöhen und gleichzeitig bei Schnellläufern künftig vom Lieferanten in vollständigen Lageneinheiten nachzubestellen. «Das ist für den Retailer und den Lieferanten ein Win-Win, da sich damit auch die Logistik beim Zulieferer massiv vereinfacht», sagt Meißner.
Eng mit den Lieferanten verknüpft ist das Thema IT. «Wir bauen intelligente Schnittstellen zu deren Systemen auf und müssen uns schnell auch an die Systeme des Kunden bzw. deren Dienstleister anbinden, um unsere Witron-WMS-Suite zum Zuge zu bringen. (…) Wenn Mitarbeiter schneller die Systeme erlernen, weil die Bedienung einfacher oder intuitiver geworden ist, dann zahlt das auf die Prozessstabilität, Effizienz und Transparenz im Lager ein.»
Fotos: Witron
Ein bekanntes Beispiel für gelungene Change-Kommunikation ist das innovative Omnichannel-Logistikzentrum, das Witron bei den Migros Verteilbetrieben in Neuendorf auch im Non-Food-Bereich umgesetzt hat. «Hier war früher alles manuell – über fünf Stockwerke verteilt. Das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen», berichtete Alexander Schweizer, Direktionsleiter Engineering und IT. Allein vom Hauptgebäude, dem Near-/ Non-Food-Bereich, werden aus einem Sortiment von mehr als 100.000 Artikeln p.a. über 700 Filialen und viele Tausend Homeshopping-Kunden beliefert. An Spitzentagen kommissionieren die Witron-Systeme OPM, AIO und CPS mehr als 470.000 Handelseinheiten. Und es gab zunächst Sorgen bei den Mitarbeitenden.
Intensiver Austausch
«Ja, es gibt Ängste, weil sich die Aufgaben der Worker stark verändern», erklärte bei Projektstart die für den Change-Prozess verantwortliche Abteilung offen bei einem der ersten Besuche. «Wir nehmen diese ernst, sprechen mit den Kolleginnen und Kollegen, informieren über die Fortschritte der Baustelle, über neue Aufgaben, Fortbildungsmöglichkeiten.» Eine Mitarbeiter-App informiert die Mitarbeitenden permanent über die Entwicklungen, grosse Screens an den Eingängen visualisieren künftige Aufgaben. Der Mensch nimmt eine Schlüsselrolle in den Logistikprozessen ein, erkannten die Verantwortlichen in Neuendorf schnell. Sie professionalisierten das Change-Management und auch die Führungs-Etage war gefordert, Fragen zu beantworten.
«Es reicht nicht, Hochglanz-Flyer über das neue automatisierte Logistikzentrum zu verteilen. Die Schweizer haben das über die komplette Projektlaufzeit sehr gut gemacht», bestätigt Meißner. Aus seiner Sicht braucht es auch einen Erkenntnis-Wechsel – sowohl beim Management als auch bei den Mitarbeitenden im Verteilzentrum. Nämlich, dass sie zukünftig nicht mehr in einem manuellen Lager arbeiten, sondern ein wichtiger Teil eines leistungsstarken Produktionsbetriebes sind. «Beide müssen sensibilisiert werden. Und das startet schon ab den ersten Besuchen, wenn die Kunden in Parkstein sind». Wenn da die Bereitschaft fehle, werde das Projekt kein Erfolg. «Wir sagen solche Geschäfte dann auch ab», erklärt Meißner, der nach dem Interview ins Flugzeug steigt um dabei zu sein, wenn das neue Coles-Logistikzentrum in Australien den Betrieb aufnimmt (wir berichteten). Auch Coles arbeitete vormals mit konventionellen Lagern.
Mehrdimensional
Karl Högen verantwortet seit vielen Jahren als CEO das Nordamerika-Geschäft und weiss: «Schulungen sind sehr wichtig. Wir wollen ein Commitment zur Anlage». Högen erinnert sich an Projekte in den USA: «Da waren nach Abschluss des Projekts immer noch fünf Gassen mit Produkten, die nach wie vor nur manuell kommissioniert werden konnten. Nach diversen Abstimmungsgesprächen mit den Zulieferern konnten auch diese Artikel vollumfänglich in den automatisierten Prozess eingebunden werden.»
Er hält die menschliche Dimension für entscheidend. «Es mangelt an Fachkräften weltweit und neue Technologien helfen den Fachkräftemangel abzufedern, aber wir müssen die Menschen auch mitnehmen. Erleichterungen aufzeigen, damit sie in den Trocken-, Frische- und Tiefkühlbereichen nicht mehr zwischen 12 und 16 t täglich an Ware heben und tragen müssen, und kommunizieren, dass auch Veränderung notwendig ist.» Traditionelle Arbeitsbereiche werden durch neue Arbeitsumgebungen abgelöst. Manuelle Kommissionierprozesse rücken in den Hintergrund bzw. werden durch Service-, Steuerungs- und Controlling-Aufgaben ersetzt. «Wir versuchen Komplexität beispielweise durch bessere User-Interfaces zu reduzieren, aber trotzdem ist Automatisierung anspruchsvoller als manuelle Systeme», so Högen.
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- Geschrieben von: Klaus Koch