DHBW BVL Ritz FriedrichshafenModelltest

 

Das «Ritz» – sonst eher als Name einer US-Hotelkette bekannt - steht am Bodensee für das «Regionale Innovations- und Technologietransfer-Zentrum» der DHBW, das sich zunehmend auch um transportlogistische Prozesse verdient macht. Anlass für die Bundesvereinigung Logistik zu einer grenzüberschreitenden Tagung in Friedrichshafen.

Im Kanon der in jüngerer Zeit verstärkt um Aufmerksamkeit ringenden Hochschulen und Forschungs-Einrichtungen, die der Logistik höheren Stellenwert einräumen, als der in der Vergangenheit oft als von Frachtkutschern und Lagerarbeitern besetzten Branche zuteil wurde, sorgt derzeit die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) mit einem relativ jungen Campus am Bodensee für Aufmerksamkeit.

Deutlich die Ausstrahlungskraft im Vierländereck durch prominente Besetzung mit zahlreichen Teilnehmern aus - und zum grossen Teil auch überwiegend in - der Schweiz aktiven Branchenexperten. Darunter Wolfgang Stölzle, jetzt Geschäftsführer einer Logistics Advisory Experts GmbH in Bazenheid, Ludwig Häberle, Projektmanager an der Universität St. Gallen, Software-Spezialisten wie CSD-Consultant Georg Seitz, Protagonisten von Schmitz Cargobull, vor allem aber auch ein gut bestücktes Team des Zentrums für Digitalisierung in Mobilitätssystemen (ZDM) der Dualen Hochschule um den Leiter einer Forschungsgruppe Markus Meßmer.

 

DHBW BVL Ritz FriedrichshafenFotos: Koch

 

Ein guter Ort, um organisiert vom Sprecher der BVL-Regionalgruppe Masud Amani und als Gäste von Heinz-Leo Dudek, Prorektor und Dekan der Technischen Fakultät der DHBW Friedrichshafen, unter dem Titel «Wissenschaft trifft Praxis» Nutzenpotenziale und Ansätze zur Digitalisierung in der Transportwirtschaft auszuloten.

Vor rund 50 Teilnehmenden hat Benedikt Roßmann, Geschäftsführer der Spedition Ansorge, Gelegenheit, Umfeld und Perspektiven des mittelständischen Transport-Dienstleisters mit seinen rund 500 Mitarbeitenden, 150 Lkws und 400 Aufliegern auszuleuchten. «Die Logistik ist schon viel digitaler, als manche denken», so Roßmann. Allerdings seien andere nach digitalen Höhenflügen im Navigationsbereich und mit Transport-Management-Systemen (TMS), siehe «Instafreight», auch schon wieder «Baden» gegangen. Erfolgreich agiere derzeit die Online-Spedition «Sennder», die mit ihrer digitalen Reduzierung von Leerfahrten gerade 1,4 Mrd. Euro Umsatz anpeile. Sowohl Roßmann, als kurz darauf auch Wolfgang Stölzle verweisen in punkto «Wunderdinge» und «KI» auf den sogenannten «Hype Cycle» der IT-Analysten von Gartner, der von anfänglichem Enthusiasmus über einen «Tiefpunkt der Enttäuschung» und ein Tal der Ernüchterung über zahlreiche Zwischenphasen führe, bevor er dann erst auf einem Niveau der Produktivität lande.

 

DHBW BVL Ritz Friedrichshafen StölzleW. Stölzle, Th. Zysk

 

Dabei sei das Spektrum der möglichen Anwendungen vielfältig. Von Compliance-Prüfungen, Support-Funktionen im TMS über die Lkw-Disposition bis hin zur Kontrolle der Frachtrechnungen könne viel Zeit eingespart werden. Der von BVL und GS1 entwickelte Digitale Lieferschein (Cloud4Log) zum Austausch von digitalen Transportdokumenten sei eine wichtige Stütze.

Ansorge hatte hinsichtlich der Mobilitätswende hin zu elektrischen Antrieben selbst die Initiative ergriffen und 2015 schon mal einen Sattelauflieger von einem Terberg-Schlepper ziehen lassen. Batteriebetriebene «Electric Vehicle» (BEV) zeichneten sich mittlerweile als langfristige Lösung ab. Inzwischen seien Fördermittel wieder weggebrochen. «Aber wir brauchen stabile Rahmenbedingungen», so Roßmann, «um investieren zu können».

Im Bereich des Autonomen Fahrens sei die Logistik ein spannenderes Anwendungsfeld, als bei privaten Pkws. Letztere würden am Tag im Durchschnittlich höchstens eine Stunde bewegt - Nutzfahrzeuge hingegen den ganzen Tag.

 

DHBW BVL Ritz FriedrichshafenLoadspace-Simulation

 

 

Wolfgang Stölzle, unter anderem auch stolzer Inhaber eines Führerscheins für Lkws bis 40 t, gibt Tipps für Roadmaps in Unternehmen, die sich entschliessen, den Weg der Digitalisierung einzuschlagen. Weniger wichtig sei, ob man hier als «First Mover» vorangehe, oder als «Spätzünder» (Late Follower). Der Markt der IT- und Software-Anbieter in diesem Bereich sei «unglaublich fragmentiert». Andererseits könne eine solche Raodmap auch unkompliziert und auf zehn Schaubildern darstellbar sein, um überhaupt erstmal anfangen zu können. Ohnehin sei bei EBIT-Margen um 1 bis 3 Prozent in Deutschland und 7 bis 8 Prozent in der Schweiz der zur Verfügung stehende Spielraum für Zukunfts-Investitionen gering. Entscheidend sei es, im eigenen Unternehmen Ziele aufzustellen, die dann auch immer noch korrigiert oder ergänzt werden könnten.

 

DHBW BVL Ritz FN SWARMAuch kein Fall für den Quantencomputer.

 

Interessante Schwarm-Modelle zeigte Damir Dulovic für die Orchestrierung kompletter Transportflotten auf. Zentral durchgeführte Routen-Optimierungen mündeten hier manchmal in milliardenfach mögliche Strecken-Variationen, die unter Berücksichtigung aller möglichen Einflussgrössen, Verkehrsbedingungen und Destinationen selbst von Quantencomputern kaum noch zu bewältigen sein könnten. Möglich könne irgendwann hingegen auch ein Multi-Agenten-System sein, in dem jeder Lkw per App als eigene Anlaufstelle diene, und IT-gestützt eigene Aufträge annehme, Konditionen verhandle und schliesslich a la «Blockchain» auch die Abrechnung erstelle. Eine solchermassen dezentrale Struktur sei auch weniger anfällig für externe Störversuche, etwa durch «Hacker», da jede Transporteinheit für sich selbst stehe.

 

DHBW BVL Ritz FriedrichshafenEin Van als «Datengenerator»

 

Ausgesprochen aufschlussreich in der Mittagspause ein Rundgang durch die Laborbereiche des Innovations- und Technologietransfer-Zentrums, in dem anhand von Modellen, aber realer Elektronikausstattung autonome Hofverkehre, sensor- und computergestützt die Auslastung von Sattelaufliegern elektronisch ermittelt und online-gestützte Systeme anhand eines eigenen Testfahrzeugs, einem Van als Datengenerator «live» verfolgt werden können.

 

Klaus Koch

 www.bvl.de

 

Duale Ausbildung

An neun Standorten der DHBW in Heidenheim, Heilbronn, Karlsruhe, Lörrach, Mannheim, Mosbach, Ravensburg, Stuttgart und Villingen-Schwenningen sind derzeit knapp 34.000 Studierende in praxisintegrierenden Studiengängen immatrikuliert. In Kooperation mit rund 9000 Partnerunternehmen und sozialen Einrichtungen (Duale Partner) bietet die DHBW ein breites Spektrum an Bachelor- und Masterstudiengängen in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Sozialwesen und Gesundheit. An dem Ravensburg zugeordneten Campus in Friedrichshafen haben sich rund 1400 junge Leute für den in fünf Unterbereiche gegliederten technischen Zweig entschieden. Angehende Studierende bewerben sich bei einem Unternehmen ihrer Wahl – dem Dualen Partner. Dazu gehören etwa Airbus Defence, DLR, Diehl, Liebherr, die RUAG oder Recaro. Drei- bis sechsmonatige Theoriephasen an der Hochschule wechseln sich mit gleichlangen Praxisphasen beim Dualen Partner ab.

 

 

Die Ausstattung des Technik-Campus ist beachtlich. Und Standort wäre nicht Friedrichshafen, wenn im Umfeld des Konzerns und der einstigen Wirkunsstätte des Luftschiffpioniers Ferdinand Graf von Zeppelin für die Studierenden nicht prickelnde Projekte umgesetzt würden. Im Studiengang Luft- und Raumfahrttechnik etwa die Konzeption und Realisierung eines vollständig autonom fliegenden Modell-Luftschiffs, die Nutzung eines Heli vom Typ BO105 als Flugsimulator, oder die Entwicklung eines Nanosatelliten names «SeeSat» nach dem CubeSat-Standard.

 

www.ravensburg.dhbw.de