1986 galt Schweizerhalle durch den Grossbrand in einer Chemie-Anlage als einer der gefährlichsten Orte der Welt. «Heute ist es einer der sichersten Plätze der Schweiz», sagt Christian Pauli, Geschäftsführer der Schweizerischen Verbandes für Temperaturgeführte Logistik (SVTL). Auf jeden Fall der richtige Platz für einen Event mit Themen zu Störfall-Verordnung und Arbeitssicherheit.

Im zurückliegenden Jahr waren es gleich mehrere Störfälle, bei denen in grösseren Anlagen in Zürich und Gossau Ammoniak im Spiel war. Anlass genug für rund 30 interessierte Teilnehmer, sich von versierten Fachleuten über Vorkehrungen und Massnahmen im «Eintretensfall» informieren zu lassen.

Störfall-Einsatz. Foto: KP Zürich

So entwich Ende Mai in einer Heizzentrale (Hardau II, Zürich) eine grössere Menge Ammoniak. Weil in solchen Fällen die Störfall-Verordnung greift, kamen gleich über 100 Feuerwehrleute zum Einsatz. In Gossau traten Ende August in einem Lebensmittel verarbeitenden Betrieb der Migros grössere Mengen des als toxisch eingestuften Kältemittels aus. 70 Mitarbeitende wurden sicherheitshalber evakuiert, zehn mussten ins Spital gebracht werden. Auch hier wurden an die 100 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Chemiewehr, Rettungsdienst und Polizei gezählt. Im November trat in Dällikon aus dem Kühlsystem einer Gemüse verarbeitenden Fabrik Ammoniak aus, 180 Personen wurden vorübergehend evakuiert. Neben 40 Angehörigen der Kantonspolizei Zürich eilten 23 Rettungswagen von Schutz & Rettung Zürich, der Spitäler Limmattal, Bülach, Horgen, Einsiedeln, Lachen, Aarau sowie des Rettungsdienstes Schwyz, das Forensische Institut Zürich sowie der zuständige Staatsanwalt zur Stelle. 

L.Vonbach, P.Gschwind

Ammoniak ist das in der Schweiz am meisten eingesetzte Kältemittel. Schätzungsweise 90 bis 95 % aller industriell genutzten Anlagen mit Leistungen ab 400 kW werden damit betrieben. Auch in grösseren Eissportzentren wie in Zuchwil bei St. Gallen sind schnell mal 5000 kg des Kältemittels im Spiel. Vorsicht ist allemal angebracht. Obwohl, wie ein Fachmann erklärt, fast schon ein Flugzeug abstürzen oder das Dach der Eishalle einstürzen und den Boden aufreissen müsste, um mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Doch immerhin gibt es allein im Kanton Zürich15 Kunsteisbahnen (in der ganzen Schweiz rund 110), die Ammoniak als Kältemittel verwenden. Die gelagerten Mengen liegen in der Regel zwischen zwischen 3000 und 11000 kg. Und ab 2000 kg – was in der Schweiz auf insgesamt rund 150 – vor allem grössere - Kälteanlagen zutrifft, greift die Störfall-Verordnung. Auch Wärmepumpen können betroffen sein.

M.Christiansen

Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutz-Berater Alex Mühlemann warnt die Anwesenden aus der Kältebranche davor, Nachlässigkeiten und Vorsichtsmassnahmen a la «Das haben wir schon immer so gemacht» oder es sei «ja noch nie was passiert» auf die leichte Schulter zu nehmen. Das fange bei den Sicherheitsschuhen und der Vorbildfunktion in der Führungs-Etage an. SVTL-Präsident Marco Manzetti betont den Stellenwert einer erhöhten Sicherheitskultur. «Wenn dann erstmal die Staatsanwaltschaft im Haus ist und man schon mit halbem Fuss im Gefängnis steht, hört der Spass auf». Der Chef muss beweisen können, dass er alle vorgeschriebenen Massnahmen getroffen hat. «Aber nicht nur der Arbeitgeber ist verantwortlich», sagt Mühlemann, «sondern auch der Mitarbeiter muss alle Sicherheits-Vorschriften befolgen». Versicherungen reagieren per Erhöhung der Prämien empfindlich auf Zwischenfälle, auch das Image einer Firma leide schnell. 

Gefahrenbereiche. Foto: BAFU

Michael Christiansen vom nur 800 m in Schweizerhalle entfernten Energie- und Industrie-Dienstleister Getec («Ich habe an meinem Schreibtisch jeden Tag den damaligen Brandherd von 1986 vor Augen») erläutert Details der 1991 in Kraft getretenen Störfall-Verordnung (StFV). Die hält für Nicht-Eingeweihte manch merkwürdige Kategorien parat. Wie etwa die, dass die StFV vorrangig dem Bevölkerungsschutz dient – und sich um die Mitarbeitenden im betreffenden Unternehmen (die unter die Arbeitssicherheit fallen) erst einmal nicht kümmert. «Was machen Sie, wenn Sie auch eine Kindertagesstätte oder eine von Nicht-Firmenangehörigen nutzbare Kantine auf dem Gelände haben?» fragt er. Hier müsse die Haftung geklärt sein.

A.Mühlemann

Kühle Bürokratie bei der Frage: «Wer gilt als tot»? Denn wer länger als drei Stunden im Spital behandelt werden muss, wird im Sinne der Störfall-Verordnung im Kurzbericht zunächst nicht mehr zu den (Über-)Lebenden gezählt. Umfangreiche Tabellen, Kalkulationen und Wirkungsmodelle umreissen die Risiken bei der Ausbreitung einer toxischen Wolke anhand durchschnittlich herrschender Windrichtungen und -geschwindigkeiten, weniger als zehn potentiell Tote gehören noch zu einer geringeren Stufe in der Einschätzung einer im Ernstfall voraussichtlich eintretenden Gefährdung. Eingehendere Fragen der Teilnehmenden unterstrichen den Stellenwert einer gesteigerten Sicherheitskultur.

Störfall-Experte Lukas Vonbach, der darauf verweist, dass es durchaus auch andere gefährliche Stoffe gibt, zitiert aber auch gern mal «Die Physiker» von Friedrich Dürrenmatt: «Je planmässiger der Mensch vorgeht, desto wirkungsvoller trifft ihn der Zufall...»

In den Räumlichkeiten des Wasserfahrvereins Muttenz wurde – bei geringer Gefährdungsstufe - zu Speis und Trank dann auch der Durst gelöscht.

K.Koch

Die Störfall-Verordnung für Kälteanlagen als download 

www.svtl.ch