Marcel Fähndrich (WWZ Wärme & Kälte)

Schach dem Klimawandel: Zu Hitzerekorden und Wetterextremen gesellt sich die Nachricht, dass sich mit überschüssiger Wärme auch Absorptionskälte-Anlagen betreiben lassen. Das 30.000-Einwohner-Städtchen Zug nutzt seinen See, um die Innenstadt und ganz nebenbei auch Rechenzentren und Server-Anlagen zu kühlen. Auch andere haben sich inzwischen gerüstet.

Der Lärm, der in der unterirdischen Halle tobt, ist enorm und steht dem Triebwerkspegel eines auf dem Rollfeld bereitstehenden Düsenjets in nichts nach. Wie beiläufig räumt er mit der Vorstellung auf, dass sanfte Energien ohne grösseren technischen Aufwand zu haben sein könnten.

Während wir durch die sich mit Blinklicht und einem deutlichen Alarmgeräusch hebenden Tore in die Unterwelt der Seewasser-Übergabestation hinabsteigen, hat sich über dem Zuger See vor dem Hintergrund der in den Nachmittagshimmel aufragenden Rigi schon wieder ein Gewitter zusammengebraut.

Seeleitung in Zug

Noch vor wenigen Minuten gleisste die Sonne über dem Wasser. Jetzt zucken Blitze über den Horizont, als wollten sie an das sich wandelnde Klima gemahnen, das hier allerdings schon immer für rasche Wetterwechsel sorgte.

Rund 400 Meter vom Ufer entfernt saugt eine Rohrleitung aus 26 Metern Tiefe das Seewasser, das über das Jahr hinweg relativ konstante Temperaturen zwischen 4 und 8 Grad Celsius hat, in die Seewasserzentrale, die im «Souterrain» vor einer ufernahen Turnhalle untergebracht ist. Kein Geräusch, kein Dröhnen dringt hier nach oben – bis wir die schwere Metalltür zur Maschinenhalle öffnen.

Die Pumpen leiten das kühle Nass in Wärmetauscher, die in einem eigenen Kreislauf streng vom Seewasser getrennt arbeiten und die thermische Energie über ein zweites Netz über die Innenstadt verteilten «Quartierzentralen» zuführen. Sie wird dort je nach Bedarf wieder an lokale Kreisläufe zur jeweiligen Wärme-Erzeugung und zur Kälteversorgung übergeben. Kältetauscher übertragen die Temperatur des Seewassers direkt an ein Kältenetz.

Einstieg in die «Unterwelt»

Strenge Vorgaben regeln, um wieviele Prozentpunkte sich die Temperatur des Seewassers durch die naturfremde Nutzung verändern, erwärmen oder abkühlen darf, erklärt Marcel Fähndrich. Viel Spielraum lassen die Umweltauflagen nicht, versichert der Bereichsleiter Wärme & Kälte der einstigen Wasserwerke Zug, heute kurz WWZ. Die sind in den 1970er Jahren über ihre ursprüngliche Funktion der Wasser- und Stromversorgung hinaus auch zum Kabel-TV-Anbieter geworden, in den 1990ern zum Erdgasversorger und längst auch ins Wärmegeschäft eingestiegen.

Eine erste von zehn künftigen Quartierzentralen versorgt ein nach einem früheren Industrieareal «Metalli» genanntes Einkaufszentrum, Parkhotel, Bahnhof SBB und weitere Liegenschaften. 25.000 Tonnen CO2 pro Jahr soll das Circulago-Netz im Endausbau später mal einsparen – entsprechend den Emissionen von 3200 Einfamilienhäusern.

Shopping-Tempel «Metalli»

Ein «Generationenprojekt», wie die Beteiligten erklären. Rund 100 Mio. Franken will die WWZ hier in die Hand nehmen, die sich über vier Jahrzehnte hinweg amortisieren sollen.

Auch andere Städte haben sich seit einiger Zeit auf den Weg gemacht, um dem Klima per Fernkälte Paroli zu bieten. Neben Paris, Stockholm und Helsinki auch Wien mit 18 Sub-Zentralen, die unter anderem die Universität, das «Palais Kempinski», die Nationalbank und das Allgemeine Krankenhaus klimatisieren. Dieser Tage wurde auch das Rathaus angeschlossen, um eine Kühlleistung zu ersetzen, die 400 einzeln betriebenen Klimaanlagen entspräche. In Paris wurde am Place du Canada auf fünf unterirdischen Etagen ein Maschinenraum mit acht Absorptions-Kältemaschinen eingerichtet, von denen jeweils zwei in Serie geschaltet, berühmte Gebäude wie das Grand Palais und den Louvre klimatisieren – per Rückkühlung aber auch das Wasser der nahegelegenen Seine um bis zu 0,5° erwärmen.

Kälte-Maschinerie am Place du Canada (Paris)

Internationale Studien gehen davon aus, dass durch den steigenden Bedarf an Kühlleistung für IT-Anlagen wie auch Wohn- und Industriezwecke bis Mitte des Jahrhunderts fast genauso viel Energie zum Kühlen wie zum Heizen gebraucht werden könnte. Der Stromverbrauch wäre enorm (In der Schweiz zwischen 17,5 und 20 Terawattstunden). Gelänge es, die Klimatisierung mit Abwärme zur Erzeugung von Absorptions-Kälte weitgehend regenerativ zu gestalten, liesse sich der Energiehunger um zwei Drittel senken.

Klingt paradox, kann aber – ganz abgesehen von immensen Investitionen - auch «ins Auge» gehen. Bei einem Projekt in einer deutschen Großstadt reichten die im Sommer abgesenkten Temperaturen der Fernwärme nicht, um die Absorptions-Maschinerie in Gang zu halten. Sie mussten – nicht ganz im Sinne des «Erfinders» - wieder auf etwa 100 Grad erhöht werden (siehe Info-Kasten 1). Thomas Sander vom Institut für Energietechnik am Lehrstuhl für Gebäudeenergietechnik und Wärmeversorgung der TU Dresden bestätigt, dass die meisten dieser Systeme erst auskömmlich arbeiten, wenn grössere Wärmeerzeuger, ein Block- oder Gasheizkraftwerk, Vorlauftemperaturen liefern, die für den jeweiligen Typ von Kältemaschine als «Antriebsenergie» ausreichen. Bisweilen ist ein regelrechtes «Tuning» erforderlich.

...in Serie geschaltet (Foto: Friotherm)


Wechselnde «Aggregatzustände»
Wird ein Gas verdichtet, steigt seine Temperatur. Wird der Druck reduziert, kühlt es sich ab. Wärmepumpen arbeiten nach demselben physikalischen Prinzip wie der heimische Kühlschrank. Dort zirkuliert ein Kältemittel, das bereits bei wenigen Grad über Null verdampft. Mithilfe eines Kompressors wird das Gas verdichtet und die damit verbundene Wärme aus dem Inneren des Gerätes in einen Kondensator (beim Kühlschrank auf der Rückseite des Gerätes) geleitet, der die höheren Temperaturen an die Umgebung abgibt und dabei wieder in den flüssigen Zustand übergeht. (Im Fall der Wärmepumpe wird diese Energie zur weiteren Nutzung in ein Fernwärmenetz gespeist) – Im Kühlschrank «entspannt» sich das Kältemittel über eine Drossel dann wieder, um erneut in den gasförmigen Zustand überzugehen. Der Vorgang wird als geschlossener Kreislauf und durch den Kompressor als «Pumpe» in Gang gehalten.
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Foto: Wien Energie

Ab- und Adsorption - oder doch ein Kompressor?
Absorptions-Kältemaschinen, die mit Lithiumbromid (LiBr) oder Ammoniak (NH3) betrieben werden, benötigen «Antriebstemperaturen» ab 85 °C. Experten sehen das kritisch, weil sie durch hohe Vorlauf-Temperaturen das Ziel gefährdet sehen, in Zukunft zusätzlich erneuerbare Energiequellen (wie Solar und Geothermie) einzubinden, die mit niedrigeren Temperaturen laufen.Adsorptions-Kältemaschinen (mit Zeolith oder Silika-Gel als Kältemittel) können mit Vorlauftemperaturen ab 55 bis 65 °C arbeiten, sind aber deutlich kostspieliger.


Quelle: Institut für Energietechnik, TU Dresden, www.energie-lexikon.info/leistungszahl.html

Die sauberste Kilowattstunde – egal ob Strom, Wärme oder Kälte – heisst es in Wien, sei immer noch die, die es gar nicht erst braucht. An der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Foschungsanstalt (EMPA) in Zürich wird in einem eigenen Testgebäude an neuen Gebäudetechnologien geforscht, die den Energieverbrauch senken und zum Ziel der Emissionsreduzierung beitragen sollen. «Eine grosse Herausforderung», sagt Sven Eggimann vom «Urban Energy Systems Laboratory». Die Software einer Unternehmens-Ausgründung namens «Sympheny» soll Planern helfen, künftig den richtigen Energie-Mix für Gebäude, einen Stadtteil oder ganze Kommunen zu finden.

Planungs-Software «Sympheny». Abb.: Empa

In Zug scheint es mithilfe des Sees die richtige «Komposition» zu sein. Fähndrich: «Inzwischen rennen uns Besuchergruppen aus aller Welt die Türen ein. Da müssen wir demnächst wohl Eintritt verlangen».

Klaus Koch

www.circulago.ch

www.empa.ch

www.wienenergie.at